Mut und gesellschaftliche Relevanz: Der Cannes Lions Report zeigt Trends in der kreativen Arbeit.

Das Cannes Lions Festival for International Creativity ist das größte Kreativitätsfestival weltweit. Bereits seit 2011 ermöglichen die BW Lions – die Organisation der Lions in Baden-Württemberg – jedes Jahr zehn Kreativschaffenden die Teilnahme an diesem Festival. Nach der Reise berichten die Delegierten in kurzen Vorträgen, was sie dort erlebt haben. Dieser Bericht, der in verschiedenen Städten Baden-Württembergs stattfindet, wird „Cannes Lions Report“ genannt.

Am 7. November waren die Delegierten dieses Jahres im Dezernat 16 zu Gast. Die Veranstalter des Abends, die Kultur- und Kreativwirtschaft Heidelberg zusammen mit der MFG Kreativ, dankten zunächst den Partnern BW Lions, Baden-Württemberg International und anderen für das Ermöglichen der Reise. Moderatorin Bettina Klammt führte durch den Abend und erläuterte die Funktion des „Cannes Lions Report“: „Von unseren Delegierten möchten wir jedes Jahr wissen, welche Impulse und Trends sie vom Festival mitgenommen haben – ganz individuell und zu einem Thema, das für sie von Interesse war.“ „Dass diese Berichte in den Regionen stattfinden und auch hier in Heidelberg vom Festival erzählt wird, ist wunderbar“, sagte Ellen Koban von der Stabsstelle Kultur- und Kreativwirtschaft zur Begrüßung. „Wir wollen unsere Kreativschaffenden in Heidelberg ermutigen, sich für das Festival zu bewerben“.

Moderatorin Bettina Klammt. Bild: MFG

In Vorbereitung auf das einwöchige Festival, zu dem jedes Jahr etwa 10.000 Besucherinnen und Besucher erwartet werden, überlegen sich die Delegierten eine bestimmte Fragestellung, der sie in Cannes nachgehen wollen. 2018 war das die offene Frage „More than … was ist Cannes eigentlich?“ Katja Pertel von der Kreativagentur connect in Karlsruhe fragte sich zum Beispiel: Ist Cannes „More than rich and beautiful“? Die Werberin wollte „internationale Werbeluft schnuppern“ und war nach eigener Aussage „auf der Suche nach dem Klischee“. Denn sie hatte den Eindruck, dass Cannes vor allem eines ist: Glamour und Party. Während der Vorbereitungen zu Cannes stieß sie auf die „Girls Lounge“. Das Netzwerk lädt bei vielen internationalen Großveranstaltungen zu verschiedenen Aktivitäten ein. Für Katja Pertel die positive Überraschung dabei: „Mich erwartete nicht nur ein Penthouse mit Catering, sondern ein reiches Rahmenprogramm mit Vorträgen und Workshops zum Thema Gleichberechtigung. Hier feierten die Menschen miteinander, aber überlegten auch ganz konkrete Projekte, brachten Entscheidungsträger ins Gespräch und wirkten so an gesellschaftlichen Veränderungen mit.“

Timo Schillings hatte sich mit seiner Videoproduktionsfirma Studio Vier beworben. Er fragte sich im Vorfeld, ob Cannes „More than yesterday – mehr als gestern“ ist. „Im Grunde genommen hassen die Menschen Werbung, weil sie heute an jeder Ecke damit konfrontiert werden“, erläuterte Timo seine Fragestellung und fügte hinzu: „Ich fand, wir als Kreative müssten auch mal wieder Nein sagen zu Werbung, und dafür lieber Geschichten erzählen.“ Auf der Suche nach einer Antwort auf seine Frage stieß Timo auf alte Werbekampagnen, die gesellschaftlich wichtige Themen aufarbeiteten. Und entdeckte, wie schon in den 60ern Kampagnen durchgeführt wurden, die heute in Cannes Preise gewinnen. So zum Beispiel eine Werbekampagne von Coca-Cola in Brasilien, bei der das Unternehmen viel Mut bewies und einen bekannten Spruch aufgriff, der homosexuellenfeindlich benutzt wird. Coca-Cola füllte Fanta in Coladosen ab, brachte diese „Sonderedition“ zum Brazilian Pride Day heraus und reagierte damit auf ein gesellschaftlich und politisch brisantes Thema. Nach weiteren Beispielen fasste Timo seine Eindrücke zusammen: „Wir sollten Marken neu denken und durchaus auch mal den Mut haben, sie zu verändern oder zu verlassen.“

Um Marken drehte es sich in Cannes auch für Sibylle Hager von Tat.Sache – Studio für Kommunikation. „Brand Purpose, also die Frage nach dem höheren Sinn eines Unternehmens oder eines Produktes steht auch im kommenden Jahr im Zentrum“, erklärte sie dem Publikum. „Lasst uns fragen, warum wir tun, was wir tun, und lasst uns auch unseren Kunden diese Frage stellen.“ Sie hatte sich auf die Suche gemacht, wie viele Unternehmen und Marken kontroversen Themen Platz einräumen und Haltung zeigen. Eine Kampagne ist ihr dabei besonders im Gedächtnis geblieben: „Die Kampagne von Procter und Gamble zum Thema Vorurteile hat mich kalt erwischt, als ich gerade mit meinen Häppchen einen Platz beim facebook-Stand suchte. Ich habe mit Oberfläche gerechnet und Tiefe bekommen.“

Pia Schilling von der Werbeagentur panama. Bild: MFG

Pia Schilling war für ihre Werbeagentur panama vor Ort und fragte sich, ob Cannes „More than advertising“ sein könne. Denn im Grunde vermutete sie, es gehe beim Festival vor allem um Selbstbeweihräucherung einer Branche. Tatsächlich fand sie viel Inspiration, Motivation und Möglichkeiten zum Netzwerken. Besonders begeisterte sie, dass die ausgestellten Arbeiten immer sozialer werden, so zum Beispiel die Kampagne zu „Share the Meal“ des World Food Programme. „In einem entsprechenden Vortrag beeindruckte mich dann noch eine Referentin. Sie sprach die Kreativen direkt an und sagte, es würde sich nicht genügend in der Welt verändern, wenn man nur auf die Regierung warte.“ Sie forderte die Kreativen auf, die Menschen direkt anzusprechen und Geschichten zu einem bestimmten Zweck zu erzählen. „Wenn Werbung echte Veränderungen anstößt, weil man damit soziale Projekte bekannter macht, ist das für mich ‚More than advertising’“, so Pia.

Julian Hoß von NACONA griff Pias Vortrag auf und zeigte, wie stark das Thema soziale Verantwortung sich in 2018 durch das Festival gezogen hat. „Mit dem Thema der sozialen Verantwortung müssen die Unternehmen sich heute beschäftigen“, betonte er. „Manchmal behaupten sie auf Social Media irgend etwas, und das wird ihnen später zum Beispiel von Greenpeace um die Ohren gehauen.“ Überzeugendes soziales Engagement sei eine gute Möglichkeit, die eigene Marke zu stärken. Dabei muss diese Maßnahme allerdings durchdacht sein, gut im Markenkern verankert und nach außen glaubhaft kommuniziert werden. Als Beispiel zeigte er das Unternehmen Patagonia, das seine Kunden dazu aufrief, keine Jacken von ihnen mehr zu kaufen, sondern lieber alte Kleidung zu reparieren und mit den Ressourcen besser umzugehen. Ihre Werbeanzeige erschien in der New York Times zum „Black Friday“, der Hochsaison für Konsum in den USA. „Eine solche Strategie zahlt sich aus, wenn es sich dabei um eine nachhaltige und glaubwürdige Entwicklung handelt und das Unternehmen Geduld hat“, schloss Julian.

Viele interessierte im Foyer 1 des Dezernat 16. Bild: MFG

Weitere Beispiele für ebenso mutige Kampagnen brachte Henrik von Müller mit. Nach Cannes war er für die Animationsfirma Woodblock gefahren. Im Bericht stellte er zwei Kampagnen als „Hackvertising“ vor. Hackvertising nimmt ein bestehendes System, untersucht es und versucht es dann, gezielt zu stören. Burger King machte dies vor, indem sie eine Kampagne zur Netzneutralität entwickelten. So wurde der Whopper mit verschiedenen Preisen versehen, und die Besucher sollten entsprechend wählen, wie schnell sie ihn haben wollten. Eine sehr mutige Aktion, die in Zusammenarbeit mit einer Agentur durchgeführt wurde – denn die Mitarbeitenden waren angehalten, die fertigen Produkte im „Billigtarif“ so lange zurückzuhalten, bis die angegebene Zeit um war. Das sorgte für diverse Ärgernisse und Unzufriedenheit, lenkte die Aufmerksamkeit aber auf die Bedeutung der Netzneutralität.

Auch 2019 wird es eine Delegationsreise nach Cannes geben, bis zum 31. Januar kann man sich als Delegierter bewerben. Die Frage, warum Kreative nach Cannes fahren sollten, beantwortet Manuel Mayer von Manuel Mayer Music Production & Sound Design wie folgt: „Man trifft dort auf etwa 10.000 Gleichgesinnte, es gibt jede Menge neue Impulse für die eigene kreative Arbeit, man kann sich mit Menschen austauschen, zu denen man auf normale Art keinen Zugang bekommen würde, und ich hatte diese Woche in Cannes einfach eine klasse Zeit!“