Glaubt man den Betreiberinnen der Heidelberger Coworking-Spaces, dann ist Coworking die Arbeitsweise der Stunde — und der Zukunft. Aber wie sieht das gemeinsame Arbeiten wirklich aus — in Zeiten, in denen man sich doch aus dem Weg gehen soll? Wir haben bei drei Coworking-Spaces nachgefragt.

 „Ein Coworking-Space besteht nicht nur aus seinen Mitgliedern, die dort arbeiten, sondern aus der Community.“

Das weiß Johannah Illgner, Gründerin und Betreiberin von CoWomen Heidelberg im DEZERNAT#16.

Ausgerechnet dieses soziale „Drumherum“ ist es, das in der Pandemie zu kurz kommt. Das wirtschaftlich nicht immer Bezifferbare, das Zwischenmenschliche, der Austausch – der Schmierstoff des Coworking ist es, was fehlt. Das berichten die Betreiberinnen vom Coworking im D#16, von CoWomen Heidelberg und vom Tink Tank.

Drei Besucher in dunklen T-Shirts stehen vor einem Regal mit einer Blumenvase.

Reden, Feiern, Netzwerken – Fehlanzeige.

Nadine Dammert von der Breidenbach GmbH, die das Coworking im D#16 leitet, zählt auf: „Es sind so banale Sachen wie das gemeinsame Frühstück, der Stammtisch und private Treffen. Was sehr fehlt, ist das Café Leitstelle, wo man sich die Beine vertreten und neuen Kaffee holen kann“.

Johannah von CoWomen kann zahlreiche Events digital anbieten. Das ist aber nicht dasselbe, wie sie zugibt. Es fehlt die Bar, an der man sich zusammensetzt, der Ort, an dem man in einem Sessel versackt, mit einem Getränk in der Hand und mit einem offenen Ohr für sein Gegenüber. Ein Videocall oder eine digitale Konferenz können persönliche Begegnungen nicht ersetzen, ist sich Johannah sicher.

Die Veranstaltungen fehlen auch Lone Aggersbjerg. Ihr Space Tink Tank im Landfried-Komplex zählt zu den neuesten Coworking-Büros in Heidelberg, mit 32 festen und rund 20 flexiblen Plätzen ist er einer der größten. Vor der Pandemie war der Tink Tank für Vernissagen und Workshops geöffnet. „Als der erste Lockdown kam, waren wir gerade mal fünf Wochen alt und haben unsere offizielle Eröffnung absagen müssen. Viele Wochen habe ich jeden Tag ganz alleine hier gesessen“, erzählt Lone, als wir sie im Tink Tank besuchen.

Eine Reihe Barhocker stehen vor einem langen Tisch direkt vor sehr hohen Fenstern.

Auch finanzielle Einschnitte haben Tink Tank, Breidenbach und CoWomen zu verzeichnen. Das betrifft allerdings nur die Meeting- und Workshopflächen, die Anfragen nach freien Schreibtischen ist gegenüber dem Vorjahr gleich hoch.

Aber das Publikum hat sich geändert. Nun fragen häufiger Angestellte an, sagt Nadine von der Breidenbach GmbH. Vor allem Berufspendler wollen in der Pandemie nicht mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in andere Städte fahren, sondern lieber remote arbeiten.

Weniger Meetings, feste User und ein neues Publikum.

Corona tut den Erweiterungsplänen der Breidenbach GmbH keinen Abbruch, wie uns Nadine im Videocall versichert. So wird der Space in Mannheim gerade vergrößert. Gleichzeitig wagt die Firma den Schritt nach Karlsruhe, wo sie mit der Erschließung von neuen Räumen beschäftigt ist. Und ein weiterer Space in Heidelberg soll folgen.

Um die Mitte eines Raumes herum stehen fünf Schreibtische, an denen Personen arbeiten.

Auch der Tink Tank wächst. Einige bleiben lieber zu Hause, weil sie das Großraumbüro in der Pandemie meiden. Andererseits lockt das Angebot neue Mitglieder, die sich das Pendeln jetzt sparen wollen. Das Buchungssystem soll in naher Zukunft die Auslastung des Büros transparent machen. Somit können die Nutzerinnen und Nutzer das Risiko, andere zu treffen, besser einschätzen und ihren Aufenthalt im Büro planen.

Auch bei den CoWomen läuft es rund. Während 2019 noch 264 Teilnehmerinnen zu 32 Events kamen, waren es im letzten Jahr 185 Teilnehmerinnen vor Ort und 182 vor den Bildschirmen, bei insgesamt 28 Events. Die Anzahl der regelmäßigen Userinnen hat sich mit fünf festen Schreibtisch-Mitgliedschaften nicht verändert. CoWomen verzeichnet denselben Trend wie Breidenbach und Tink Tank: Es sind vermehrt Angestellte, die nicht mehr in ihr Büro fahren dürfen oder wollen, die jetzt nach einem Arbeitsplatz im Coworking-Office fragen.

Zwei Frauen sitzen einander an einem Tisch gegenüber.

Selbstständige hätten ihren Platz sogar gekündigt, berichtet Johannah. „Für Soloselbstständige aus der Kreativbranche, deren Einnahmen weggebrochen sind oder die sich jetzt online mit ihren Kunden treffen, macht ein fester Platz wenig Sinn.“

Alternative zum Homeoffice

Dennoch, ein Platz im Coworking-Büro kann einem das geben, woran es zu Hause mangelt: gutes WLAN und soziale Kontakte. Nadine von der Breidenbach GmbH beobachtet schon lange: Im Homeoffice ist es schwer, konzentriert zu arbeiten. Außerdem hat nicht jeder ein voll ausgestattetes Büro zu Hause. Sie findet:

„Wer keine Lust auf Homeoffice hat, kann zu uns kommen. Das ist jetzt aktueller denn je!“.

Johannah von CoWomen betont, wie wichtig eine Infrastruktur gerade für arbeitende Frauen ist. Viele Frauen berichten, dass es kaum möglich ist zu Hause ohne Unterbrechungen zu arbeiten, entweder weil schlichtweg kein geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder sie zu sehr mit den Kindern eingespannt sind.

Roos Gerritsen, die einen Coworking-Platz im D#16 hat, wo sie für den Verein „Über den Tellerrand“ arbeitet, kann das bestätigen: „Ich bin in der Pandemie mit zwei kleinen Kindern zu Hause. Ich komme da gar nicht zum Arbeiten. Über das Coworking bin ich sehr froh. Es ist trotz der Einschränkungen immer jemand da, mit dem man sich austauschen kann. Die soziale Seite des Coworking ist superwichtig. Gerade in einer Pandemie.“

Diese Aussagen hat auch Lone von ihren Mietern im Tink Tank oft gehört. Und noch was hat sie beobachtet: Im Homeoffice fällt die Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit schwer, „irgendwie ist nie Feierabend“. Das war der saure Apfel, in den viele Arbeitnehmerinnen in der Pandemie beißen mussten.

Ein Stuhlkreis ist von fünf Kursteilnehmenden besetzt, die auf einen Referenten am Flipchart blicken.

Doch sind auch einige auf den Geschmack von Remote Work gekommen. Sich die Zeit selbst einteilen und auf die lange Anfahrt mit Stau verzichten: Was jahrelang nicht möglich schien, ist nun Alltag. Ist es da überhaupt noch zeitgemäß, die Arbeit mit einem festem Ort zu verbinden, zu dem teure und zeitaufwendige Fahrten unternommen werden müssen?

Folgt man Lone, dann findet auch bei den Arbeitgebern gerade ein Umdenken statt:

„Durch Corona haben auch die großen Unternehmen bemerkt, dass Remote Work die Work-Life-Balance begünstigt.“

Und so könnte das Arbeiten von einem „dritten“ Ort aus die Lösung der Zukunft sein. Wer das erkannt hat, für den nimmt der Coworking-Space als ein Ort der Begegnung, der Inspiration und Weiterbildung eine herausragende Stellung zwischen Homeoffice und Firmenzentrale ein – auch in Zukunft.