Ein Gespräch mit Wolfgang Erichson

Seit Oktober ist Bürgermeister Wolfgang Erichson Dezernent für die Kultur- und Kreativwirtschaft Heidelbergs. Mit innovativen Ideen und ungewöhnlichen Lebenswegen kennt er sich aus: In Berlin rief er vor über 30 Jahren „Maneo“ ins Leben – eine LSBTIQ-Initiative, die bis heute aktiv ist und vielen Menschen hilft. Heidelberg möchte er als Ort für Kreativität und Neugründungen verstanden wissen. In diesem Interview stellt er sich den Akteurinnen und Akteuren der regionalen Kreativwirtschaft vor.

Herr Erichson, wer sind Sie und was machen Sie?

Ich bin seit 2007 in Heidelberg Dezernent und war bereits in unterschiedlichsten Bereichen tätig. Seit Januar bin ich zuständig für Bürgerservice, Digitalisierung, Kultur und Kreativwirtschaft. In den kommenden Jahren werde ich also die Verantwortung tragen, diese Zukunftsthemen zusammen- und nach vorne zu führen. Dazu gehört natürlich auch die Diskussion zu den Alten Stallungen als neuen zusätzlichem Standort der Kultur- und Kreativwirtschaft, oder die Diskussion um den Betriebshof und die Zukunft des DEZERNAT#16.

Sagen Sie spontan drei Dinge, die Sie mit der Kreativwirtschaft Heidelberg verbinden.

Ermöglichungskultur: Das ist das Motto, mit dem ich angetreten bin. Ich möchte es ermöglichen, dass sich Menschen in Heidelberg kreativ betätigen und sich daraus ggf. auch eine wirtschaftlich erfolgreiche Tätigkeit entwickelt.
Lebensqualität: Die Kreativwirtschaft ist für eine Kommune wichtig, denn sie verbessert die Lebensqualität der Menschen.
Trial and Error: Für mich ist das der Mut, Dinge auszuprobieren und sich auch einzugestehen, dass die eigene Idee nicht funktioniert.

Wie schätzen Sie aktuell die Lage für die kreativen Akteurinnen und Akteure ein?

Die Lage ist für alle Solo-Selbstständigen nicht nur in der jetzigen Situation besonders schwierig. Da sind ganze Märkte weggebrochen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass gerade die Kreativen großes Potenzial haben, mit Krisen umzugehen und sie gestärkt aus der Krise hervorgehen können.

Die Pandemie zwingt die Gesellschaft, sich in vielen Bereichen zu hinterfragen. Und hier in der Kreativwirtschaft sind genau die Menschen, die Lust haben, Dinge zu hinterfragen und zu verändern. Zudem halte ich die Akteurinnen und Akteure für im positiven Sinne leidensfähig. Jemand, der sich auf den Weg macht, die eigene Idee, den eigenen Lebensentwurf zu realisieren, ohne zu wissen: Funktioniert das? ist im besten Sinne des Wortes leidensfähig. Eine große Stärke, die nach der Pandemie von Vorteil sein kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das ist dann mein Job: Kriegen wir die Rahmenbedingungen für Anlaufendes und Entstehendes, sind genügend Räume da, kann man alles, was entsteht, gut unterstützen? Lassen sich neue Märkte für kreative Dienstleistungen und Produkte erschließen, weil plötzlich ganz viel Bedarf an Neuem da ist? Das sind die Fragen und Chancen, die auf uns zukommen.

Herr Erichson, Sie sind seit 100 Tagen unser Intendant und Ansprechpartner. Was erwarten Sie von uns, und was können wir von Ihnen erwarten?

Von mir kann man Offenheit erwarten. Ich nehme das Thema Ermöglichungskultur ernst, wobei „ermöglichen“ für mich nicht nur finanzielle Unterstützung bedeutet. Da geht es auch ums Türen öffnen, ums Vernetzen, um das Sehen von Chancen und das Zusammenbringen von Menschen.

Gleichzeitig bin ich mit einem Effizienzgedanken unterwegs. Seit 2013 haben wir eine lebendige Kreativwirtschaft in Heidelberg. Dabei haben sich Strukturen verfestigt, die ich mir anschaue und mich frage “Muss das so bleiben?“ Das gilt sowohl für Strukturelles wie zum Beispiel die Mietverträge in der Kreativwirtschaft, als auch für die Entwicklung von Ideen und Unternehmen. Außerdem möchte ich gerne das, was hier im DEZERNAT#16 ausprobiert wurde und sich etabliert hat, für neue Konzepte übernehmen.

Was ich von den Kreativen erwarte? Sie müssen unserer Stadtgesellschaft neue Dinge zeigen. Wir brauchen die Kreativen für ungewohnte Lösungen, denn sie haben oft eine ganz andere Perspektive. Da erwarte ich Ideen und Impulse, und das darf auch Verrücktes oder bisher Undenkbares sein. Hierfür bin ich immer offen.

Wenn Sie in einigen Jahren auf diese Zeit zurückschauen: Was möchten Sie in Bezug auf die Kreativwirtschaft erreicht haben?

Dann müssen wir sagen können: Heidelberg hat für seine Kreativen Strukturen geschaffen, sich zu entwickeln, Heidelberg ist innovativ, Heidelberg macht Spaß. Gerade für junge Menschen möchte ich, dass Heidelberg nicht nur ein Ort ist, den sie während ihres Studiums besuchen, sondern wo Menschen Lust haben, hier zu bleiben – weil sie sich entwickeln und mitgestalten können. Ein Ort zum Bleiben, zum Arbeiten, zum Neues ins Leben rufen.

Für mich wäre es ein schönes, neues Markenzeichen, wenn die Kreativwirtschaftsszene viele spannende Ideen beiträgt, wie wir zum Beispiel durch Zwischennutzung von leerstehenden Gebäuden als „Pop Up Clubs“ Orte für ein junges Publikum schaffen können.

Wenn Sie an die Vision für die nächsten Jahre denken: Mit wem wollen Sie auf jeden Fall sprechen, der noch nicht in Ihrem Terminkalender steht?

Wenn jemand dieses Interview liest und sagt, den Bürgermeister würde ich gerne kennenlernen, dem würde ich gerne mal eine Idee präsentieren, dann freue ich mich. Darüber hinaus möchte ich die Menschen in Heidelberg kennenlernen, die noch nicht so sichtbar sind.
Wir haben eine riesige Warteliste von Akteuren, die im Bereich Kreativwirtschaft noch etwas machen wollen. Da bin ich sehr neugierig, was das für Menschen sind. Und ich will mich austauschen mit denjenigen, die es mit ihrer Idee und Neugründung geschafft haben.

Das heißt, diejenigen, die uns lesen, sollen sich angesprochen fühlen und sich bei Ihnen melden?

Ja, auf jeden Fall! Am besten bei meiner Stabsstelle für die Kultur- und Kreativwirtschaft.

Zuletzt ein persönlicher Tipp von Ihnen: Was macht Sie zuversichtlich für 2021?

Diese letzten Monate haben bei mir Erinnerungen an persönliche Erlebnisse wachgerufen. Krisen und schmerzhafte persönliche Erfahrungen halten eine wichtige Lehre für uns bereit.

Ich bin in meinem Leben aus jeder Lebenskrise stärker herausgegangen und ich glaube, dass wir als Gesellschaft auch diese Chance haben. Ich weiß, es wird sehr viele Menschen geben, die während der Krise jede Menge verloren haben.Aber wir als Gesellschaft, wir haben die Möglichkeit, uns nun gezwungenermaßen mit Fragen wie „Was ist mir am allerwichtigsten? Was habe ich am meisten vermisst während der Einschränkungen?“ zu beschäftigen.